Zwischen Herzblut und Augenrollen – Mein Blick auf den Tierschutz
- Sina Ebert
- 28. Juni
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juni
Tierschutz. Ein großes Wort. Emotional aufgeladen, schnell verurteilt, oft romantisiert. Aber was bedeutet Tierschutz überhaupt? Und vor allem: Was bedeutet er für mich?
Ich habe mir diese Fragen in letzter Zeit häufiger gestellt – zwischen Einsätzen beim Hundensicherungsteam, Diskussionen in sozialen Netzwerken und Gesprächen, die in etwa so verlaufen:
„Du engagierst dich für Tiere? Ach süß. Aber du isst doch bestimmt auch Fleisch, oder?“
Wo fängt Tierschutz an?
Beim Verzicht auf tierische Produkte? Beim Spenden für ein Tierheim? Beim Einfangen eines entlaufenen Hundes bei Regen und Kälte? Oder vielleicht viel früher – beim Respekt vor dem Leben, egal wie viele Beine es hat.
Ich glaube, Tierschutz fängt nicht mit einem Etikett an („vegan“, „Bio“, „Adopt don't shop“), sondern mit einer Haltung. Mit der Bereitschaft, hinzuschauen, auch wenn es unbequem wird. Und ehrlich gesagt: unbequem ist es fast immer.
Muss ich vegan leben, um Tierschutz ernst zu meinen?
Die Gretchenfrage. Und ja, sie beschäftigt mich. Ich esse (noch) alles – aber ich versuche, bewusster zu essen. Fleisch ist seltener geworden. Nicht, weil ich auf irgendeiner Mission bin, sondern weil es sich für mich einfach stimmiger anfühlt.
Trotzdem: Ganz auf tierische Produkte zu verzichten, schaffe ich (noch) nicht. Ich denke oft darüber nach, vegetarisch zu leben. Aber ehrlich? Ich hab’s bislang nicht durchgezogen. Und das ist okay. Ich mach das auf meine Weise. Nicht perfekt, aber mit Blick und Herz.
Ich finde, man muss keinen Unterschied machen zwischen einem Hund und einem Nutztier – unabhängig davon, was auf dem Teller liegt. Respekt vor dem Leben beginnt nicht erst bei einer konsequent veganen Lebensweise. Sondern vielleicht bei der Entscheidung, nicht einfach wegzuschauen. Bei der Bereitschaft, Dinge zu hinterfragen.
Ich gebe mein Bestes. Nicht für ein Etikett – sondern für ein gutes Gefühl im Bauch. Und für eine Haltung, die zu mir passt. Wer sich für Tiere engagieren will, sollte keine Angst haben müssen, erst eine Art „veganen Führerschein“ zu bestehen. Jeder, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, darf seinen eigenen Weg gehen. Und wenn der ein bisschen holprig ist – umso besser. Das macht ihn menschlich.
Und während ich also versuche, meinen eigenen Weg zwischen Leberwurstbrot und Tierliebe zu finden, stolpere ich früher oder später über die nächste Herausforderung:
Menschen, denen Tiere komplett egal sind.
Spoiler: Mein Mitgefühl hat da auch Grenzen.
Wenn Tierliebe auf Gleichgültigkeit trifft
Ich geb’s zu: Ich tu mich schwer mit Menschen, denen Tiere komplett egal sind.
Nicht, weil ich erwarte, dass jeder täglich Hunde rettet oder auf dem Sofa über das Leid der Schweine sinniert. Sondern weil mir diese Gleichgültigkeit manchmal so… entwaffnend begegnet.
Da steht man da, gerade aus einem Einsatz zurück – durchnässt, müde, mit Matsch in der Jackentasche – und bekommt dann zu hören:
„Ist doch nur ein Tier. Was machst du da eigentlich für ein Theater?“
Atmen. Lächeln. Und nicht das Wurstwasser über sie kippen, das ich seit Stunden in der Jacke spazieren trage.
Ich arbeite noch dran.
Aber ganz ehrlich: Es beginnt nicht erst bei Tierquälerei. Es beginnt viel früher – bei all den Momenten, in denen Menschen einfach nicht hinschauen wollen. Oder hinschauen und dann… nichts tun.
Heute zum Beispiel: Ich bekomme die Meldung, dass eine Katze angefahren wurde und sich schwer verletzt mit den Vorderpfoten in eine Wiese schleppt. Die Leute, die es gesehen haben, haben es zwar gemeldet – aber selbst nicht angehalten. Nicht versucht zu helfen. Nicht zum Tierarzt gefahren.Oder der Igel am Straßenrand, offensichtlich verletzt, blutend – wird liegengelassen, weil man "keine Zeit" hat. Man sieht, dass ein Tier leidet. Und entscheidet sich, weiterzugehen.
Da verliere ich manchmal die Geduld. Innerlich. Und, ja – manchmal auch äußerlich. Weil es mich fassungslos macht, wie leicht wir das Leid anderer Lebewesen ausblenden, wenn’s gerade nicht in unseren Zeitplan passt.
Ich versuche, nicht zu verurteilen. Wirklich. Aber meine Energie ist nicht unendlich. Und ich habe aufgehört, mich für Tiere zu verausgaben und gleichzeitig die Gleichgültigkeit anderer zu therapieren. Ich kann niemanden dazu bringen, Tiere zu respektieren. Aber ich kann entscheiden, wo ich meine Kraft investiere.
Und manchmal bedeutet das: still sein, gehen, nicht diskutieren.
Oder mit einem „Aha, interessant“ weiter meinen Tag leben – ohne den Versuch, jemanden zu bekehren, der beim Thema Empathie schon ausgestiegen ist.
Diskussion oder Durchzug?
Früher hab ich’s öfter versucht. Diskutiert. Erklärt. Mit Engelsgeduld. Warum man verletzte Tiere nicht ignorieren sollte. Warum es eben kein „nur ein Tier“ ist. Warum Haltung nicht bei Instagram aufhört.
Ich hab versucht, Herz zu zeigen, wo andere nur mit den Schultern gezuckt haben. Und manchmal hab ich gehofft, dass ein kluges Argument etwas bewegt.
Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich gefragt habe:
Für wen mach ich das eigentlich?
Für die Tiere – oder dafür, dass ich mich nicht ohnmächtig fühle?
Ignoranz frisst Zeit. Energie. Nerven. Und oft genug auch den letzten Funken Hoffnung, dass man mit Worten gegen Mauerwerk ankommt. Und ich hab keine Lust mehr, mich mit Leuten zu verrenken, die sich nicht mal bücken würden, wenn ein verletztes Tier vor ihren Füßen liegt.
Ich diskutiere nicht mehr mit jedem. Nicht aus Arroganz. Sondern weil meine Energie begrenzt ist – und ich gelernt habe, sie dorthin zu lenken, wo sie wirklich was bewirken kann.
Vielleicht muss man nicht immer alles umkrempeln, nicht jeden überzeugen, nicht jede Mauer einreißen. Vielleicht reicht es manchmal, kleine Dinge zu tun – konsequent, ehrlich und ohne Applaus.
Und das bringt mich zur nächsten Frage:
Was ist besser: Viele kleine Taten oder ein großer radikaler Wandel?
Radikal oder realistisch?
Ich hab großen Respekt vor Menschen, die ihr komplettes Leben umkrempeln.
Vegan, plastikfrei, aktivistisch, laut. Alles auf einmal. Manchmal wünsche ich mir auch so einen klaren Schnitt – so ein Jetzt ändere ich alles.
Aber mein Leben ist eher Stückwerk. Ein bisschen weniger Fleisch. Ein geretteter Hund. Ein Gespräch, das vielleicht nachhallt. Ich laufe nicht mit der Tierschutz-Fahne durch die Stadt – ich krame eher still das Wurstwasser aus dem Kofferraum und versuche, Vertrauen zu gewinnen.
Und ich glaube: Viele kleine Taten sind oft realistischer – und nachhaltiger.
Weil sie sich in den Alltag einfügen. Weil sie nicht überfordern. Weil sie echte Veränderung ermöglichen – nicht nur auf Instagram, sondern im Kopf und im Herzen.
Große Veränderungen sind wichtig. Ohne sie bewegt sich auf gesellschaftlicher Ebene oft nichts.
Aber sie entstehen nicht aus dem Nichts. Sondern aus lauter kleinen Entscheidungen, die Menschen jeden Tag treffen – oder eben nicht.
Deshalb glaube ich: Wenn jeder das tut, was er kann – im Rahmen seiner Möglichkeiten und mit echtem Herzen – dann kommt am Ende vielleicht mehr raus, als wenn wir alle auf den großen Knall warten.
Und auch wenn es manchmal so wirkt, als würde all das nichts ändern – das Wurstwasser im Auto, die gerettete Schnecke, das Gespräch an der Kasse –für mich macht es einen Unterschied. Vielleicht keinen weltbewegenden. Aber einen echten.
Was mich aber immer wieder beschäftigt:
Kann man überhaupt richtig Tierschutz machen – oder ist das immer ein individueller Weg?
Der „richtige“ Tierschutz?
Ich habe lange geglaubt, Tierschutz müsse irgendwie einheitlich sein. Klar, konsequent, moralisch unangreifbar. Am besten mit Bio-Zertifikat, Spendenquittung und rein pflanzlicher Ernährung.
Aber je länger ich selbst drinstecke, desto mehr merke ich:
Es gibt ihn nicht, den einen richtigen Weg.
Auch nicht im Ehrenamt.
Ehrenamt ist nicht gleich Ehrenamt – das fällt mir immer wieder auf.
Ich bin jemand, der sofort losrennt, wenn eine Meldung reinkommt. Egal ob Regen, Dunkelheit oder Feierabend. Nicht weil ich Heldin spielen will – sondern weil da draußen ein Hund ist, der gerade Angst hat und vielleicht jede Minute zählt.Und dann höre ich Sätze wie:
„Ich hab heute keine Zeit – ich meld mich morgen Abend mal bei der Halterin.“
Morgen Abend.
Ein entlaufener Hund mit Maulkorb und 2-Meter-Leine.
Und wir hoffen einfach mal, dass er bis dahin nicht vor ein Auto läuft.
Versteht mich nicht falsch – ich will niemanden schlechtmachen. Jeder hat ein Leben, Verpflichtungen, Grenzen. Ich auch.
Aber mal ehrlich: Ein kurzes Telefonat zwischendurch?
Fünf Minuten in der Mittagspause?
Ich glaube, das bekommt man hin – wenn man wirklich will.
Und genau da merke ich: Mein Maßstab ist eben mein eigener. Und nicht jeder tickt so. Ob das fair ist oder frustriert – kommt auf den Tag an. Aber vielleicht ist das genau der Punkt: Tierschutz ist nie schwarz-weiß. Und manchmal ist Wut einfach auch ein Zeichen von Liebe. Für die, die da draußen gerade allein sind.
Ich weiß, nicht jede*r kann oder will alles geben. Und vielleicht ist das okay.Aber manchmal frage ich mich trotzdem:
Wo ist eigentlich die Grenze – zwischen helfen und sich selbst dabei verlieren?
Tierrettung - Zwischen Einsatz und Erschöpfung
Ich liebe, was ich tue.Aber manchmal frage ich mich: Zu welchem Preis?
Wenn ich nach einem Einsatz stundenlang nicht schlafen kann, weil der Hund nicht gefunden wurde. Wenn ich alles stehen und liegen lasse, weil irgendwo ein Tier in Not ist – und am Ende mit dem Gefühl heimfahre, wieder nicht genug getan zu haben. Wenn mein eigener Alltag, mein Körper, meine Beziehungen zu kurz kommen, weil ich schon wieder unterwegs bin, mit kaltem Kaffee und Wurstwasser im Gepäck.
Und dann gibt es diese Einsätze, die einen zerreißen. Wie der Fall meiner Kolleginnen im Allgäu: Ein entlaufener Hund, panisch, orientierungslos. Menschen, die meinten, sie würden helfen – und ihn mit dem Auto verfolgten.
Der Hund rannte aus Angst auf die Gleise. Wurde vom Zug erfasst.
Geteilt.
Es wurde nur der Teil mit dem Kopf gefunden.
Ich habe den ganzen Tag geweint. Aus Wut. Aus Trauer.
Aus diesem unbegreiflichen Gefühl von Ohnmacht, das einen auffrisst, wenn Menschen mit "guten Absichten" alles noch schlimmer machen.
Meine Kollegin hat den Hund abgeholt – von der Bundespolizei. Damit die Besitzerin ihn nicht so sehen muss.
Das war das schlimmste Bild, das ich je gesehen habe.
Und ich frage mich: Wie soll man da noch weiterhelfen, ohne selbst innerlich zu zerbrechen?
Ich glaube, genau da liegt die Grenze. Zwischen helfen und sich selbst verlieren.
Denn man gibt in diesem Ehrenamt nicht nur Zeit und Schlaf – man gibt oft auch ein Stück Seele. Und trotzdem: Ich lerne. Ich lerne, dass ich nicht brennen muss, um Licht zu machen.
Dass auch ich Pausen brauche. Und dass es manchmal ehrlicher ist, nicht zu helfen, als sich selbst dabei zu verlieren.
Auch das ist Tierschutz: Sich selbst nicht vergessen.
Denn nur wer bleibt, kann immer wieder losgehen.
Für den Hund im Allgäu.
Ich hab dich nicht gekannt.
Aber ich werd dich nie vergessen.
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