Verstärker – mehr als nur ein Leckerli
- Sina Ebert
- 18. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Wenn ich mit Kund*innen ins Training starte, höre ich oft den Satz:
„Ich hab ihn doch belohnt, aber er macht es trotzdem nicht.“
Dann taucht er auf – der kleine, feine Unterschied zwischen dem, was wir Belohnung nennen, und dem, was ein Verstärker im lernbiologischen Sinne eigentlich ist.
Und ja – das macht einen großen Unterschied.
Was ein Verstärker wirklich ist
Ein Verstärker ist etwas, das die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Verhalten wieder gezeigt wird. Ganz einfach gesagt:
Der Hund macht etwas – etwas Angenehmes passiert – der Hund macht es wieder.
Und damit das funktioniert, braucht es nicht nur ein gutes Timing oder die passende
Situation –es braucht etwas, das der Hund auch wirklich als Verstärker erlebt.
Ganz wichtig: Der Hund entscheidet. Immer.
Nicht wir. Nicht das Lehrbuch. Nicht der Trainingsplan.
Der Hund entscheidet, ob etwas für ihn ein Verstärker ist – oder nicht.
Ein Leckerli kann ein Verstärker sein. Muss es aber nicht. Wenn der Hund satt ist, unter Stress steht oder gerade etwas ganz anderes will, wird es einfach ignoriert – oder wirkt sogar eher störend.
Genauso bei Streicheln, Spielzeug oder Lob. Was für den einen Hund der Jackpot ist, ist für den nächsten völlig uninteressant.
Verstärker sind individuell
Ein Leckerli ist nicht automatisch ein Verstärker. Wenn der Hund satt ist, oder gerade gar kein Futter will – dann wirkt es einfach nicht. Genauso wenig wie eine Streicheleinheit, wenn der Hund gerade gar keine Nähe sucht.
Es geht also darum, den Hund zu lesen.
Was will er in diesem Moment wirklich?
Was würde ihn motivieren, das Verhalten erneut zu zeigen?
Die Antwort darauf ist unser Verstärker.
Und wann wirkt ein Verstärker?
Damit ein Verstärker seine Wirkung entfalten kann, müssen drei Dinge stimmen:
Timing: Die Verstärkung muss unmittelbar nach dem Verhalten erfolgen. Im besten Fall innerhalb von 0,5 bis 2 Sekunden. Ist der Abstand zu groß, kann es zu Fehlverknüpfungen kommen – der Hund versteht nicht, welches Verhalten gemeint war.
Verlässlichkeit: Das Verhalten muss regelmäßig und vorhersehbar verstärkt werden – vor allem zu Beginn des Trainings. Wenn der Hund z. B. jedes zweite Mal leer ausgeht, wird das Verhalten instabil oder verschwindet wieder. Nur wenn auf das Verhalten eine nachvollziehbare Konsequenz folgt, kann Lernen entstehen.
Wert des Verstärkers für den Hund: Der Verstärker muss stark genug sein, um in der jeweiligen Situation überhaupt motivierend zu wirken. In einer reizarmen Umgebung kann ein ruhiges Lob ausreichen –aber wenn der Hund gerade aufgeregt ist oder jagen will, braucht es deutlich mehr, um „konkurrenzfähig“ zu sein.
Noch einmal deutlich: Der Hund entscheidet
Ich kann noch so gut planen – wenn mein Hund das, was ich anbiete, nicht will, ist es kein Verstärker. Und das ist keine persönliche Beleidigung. Es ist einfach Lernbiologie.
Die Frage ist also nicht: „Was finde ich gut?“
Sondern: „Was findet mein Hund in genau diesem Moment gut?“
Und diese Antwort kann sich täglich ändern. Je nach Stimmung, Umgebung, Erregungslevel, Bedürfnis oder vorheriger Erfahrung.
Nicht jeder geplante Verstärker ist automatisch ein Verstärker
Ein Beispiel, das ich immer wieder sehe:
Ein Hund kommt zuverlässig zurück, weil er das Abrufsignal gut kennt. Der Mensch freut sich, geht dem Hund ein Stück entgegen, streckt die Hand aus – und will ihn ausgiebig streicheln.
Und der Hund? Wird langsamer. Dreht vielleicht sogar leicht den Kopf weg.
Denn in diesem Moment ist die Berührung kein Verstärker – sondern eher unangenehm.
Das passiert nicht, weil der Mensch etwas „falsch“ macht, sondern weil wir oft vergessen, aus Hundesicht zu denken.
Was für uns Nähe oder Zuneigung bedeutet, kann sich für den Hund nach Bedrängung anfühlen.
Und was ist mit dem negativen Verstärker?
Klingt erstmal wie ein Widerspruch – ist aber ein fest definierter Begriff aus der Lernpsychologie. Ein negativer Verstärker bedeutet: Etwas Unangenehmes hört auf – und genau das bestärkt das Verhalten.
Beispiel: Ein Hund spürt Druck am Geschirr, wenn er an der Leine zieht. Sobald er zurückweicht, lässt der Druck nach – das ist eine Erleichterung für ihn. Diese Erleichterung wirkt verstärkend, obwohl sie aus einer unangenehmen Situation entstanden ist.
In der Theorie funktioniert das. In der Praxis ist es aber oft problematisch – weil dem Hund dafür erst einmal etwas Unangenehmes zugefügt werden muss, damit es später wieder verschwindet. Und das passt nicht zu meinem Trainingsverständnis.
Deshalb arbeite ich fast ausschließlich mit positiven Verstärkern – weil sie Verhalten aufbauen, ohne Druck zu machen. Und weil sie Vertrauen fördern.
Trotzdem ist es mir wichtig, auch die anderen Lernwege zu verstehen und einordnen zu können – gerade, um sie im Zweifel besser erklären oder gezielt ablehnen zu können.
Verstärken heißt: genau hinschauen
Was wirkt – und was nicht? Was bestärkt meinen Hund – und was stresst ihn vielleicht sogar?
Verstärker sind keine reinen „Trainingshilfen“. Sie sind Spiegel dafür, wie gut ich meinen Hund kenne. Und wie bereit ich bin, auf ihn einzugehen.
Und jetzt?
Wenn ich merke, dass ein Verhalten nicht stabil bleibt oder sich sogar verschlechtert, frage ich mich immer zuerst:
War mein Timing sauber?
Habe ich konsequent verstärkt?
War der Verstärker überhaupt einer?
Oder hat der Hund vielleicht gerade ganz andere Bedürfnisse gehabt?
Diese Fragen bringen mich im Training oft weiter als jede Methode. Denn sie holen mich raus aus dem „Funktionieren lassen“ – und zurück in die echte Beziehung.
Und das war erst der Anfang
So wichtig die klassischen Verstärker auch sind – sie bilden nur einen Teil des gesamten Bildes. Denn wer sich ernsthaft mit Hundetraining beschäftigt, merkt schnell:
Verstärker ist nicht gleich Verstärker.
Neben den bekannten positiven und negativen Verstärkern spielen auch andere eine große Rolle:
primäre und sekundäre Verstärker
tertiäre Verstärker
funktionale Verstärker
Jackpot
Jeder dieser Ansätze bringt eigene Chancen – aber auch Stolperfallen – mit sich. Und es braucht ein feines Gespür, um im richtigen Moment den passenden Verstärker auszuwählen. Nicht nach Lehrbuch – sondern individuell, situativ und fair.
Du willst das gemeinsam mit mir angehen?
Egal ob Du lieber einzeln arbeitest oder in einer kleinen, motivierten Gruppe –ich unterstütze Dich gerne dabei, Deinen Hund besser zu verstehen und euer Training sinnvoll aufzubauen.
Ich freue mich auf euch.
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