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„Der ist halt dominant.“ – Warum dieser Satz kein Verhalten erklärt

Aktualisiert: 18. Juli


„Der ist halt dominant“, sagt die Halterin. Ihr Hund steht stocksteif, die Rute hoch wie eine Antenne, das Maul leicht geschlossen, der Blick fixierend auf den Rüden gegenüber gerichtet. Ich beobachte. Und dann nicke ich. Nicht, weil ich zustimme – sondern weil ich erstmal wissen will, was sie unter „dominant“ versteht.


Denn ganz ehrlich: Kaum ein Begriff wird im Hundetraining so oft benutzt – und so wenig verstanden.



Was Menschen meinen, wenn sie „dominant“ sagen

Ich habe in Trainings schon vieles mit diesem Wort erklärt bekommen:

  • „Er hört einfach nicht.“ → Dominant.

  • „Er schnappt, wenn ich ihm was wegnehmen will.“ → Dominant.

  • „Er will auf’s Sofa.“ → Dominant.

  • „Er knurrt meinen Mann an.“ → … du ahnst es.


Dominant scheint die Universalantwort zu sein, wenn ein Hund nicht „funktioniert“. Wenn er Grenzen setzt, widerspricht, sich entzieht. Es klingt nach Kontrolle, Überlegenheit, Macht – und macht gleichzeitig ein bisschen Angst.


Aber das Problem ist: Dieses Wort hält uns davon ab, genauer hinzuschauen.


Dominanz ist kein Charakterzug – sondern eine Beziehung

Viele Menschen glauben, ein Hund sei einfach so. Also eben dominant. So wie andere freundlich oder schüchtern sind.

Aber: Dominanz ist keine festgelegte Eigenschaft. Sie beschreibt eine soziale Beziehung zwischen zwei Individuen – nicht mehr und nicht weniger.


Fachlich nennt man das eine Dyade.


Dominanz heißt: Einer (Hund A) schränkt den anderen (Hund B) ein – und Hund B lässt das zu.


Ohne dieses Zusammenspiel gibt es keine Dominanz.


Das bedeutet: Ein Hund kann nicht „an sich“ dominant sein. Er wirkt nur dann so, wenn ein anderer ihm die Bühne dafür gibt.



Wenn aus einer Vermutung eine Reaktion wird

Und genau hier wird es kritisch: Wenn Menschen glauben, ihr Hund sei dominant, folgen daraus oft bestimmte Konsequenzen.


Sie denken:

  • Ich darf ihm nichts durchgehen lassen.

  • Ich muss ihm zeigen, wer das Sagen hat.

  • Der darf mich nicht anknurren – sonst tanzt er mir bald auf der Nase rum.


Und dann kommen sie, die alten Werkzeuge:

  • Dominanzbrille auf.

  • Alpha-Rolle aus der Mottenkiste.

  • Futter wegnehmen zur Machtdemonstration.

  • Leinenruck zur „Erinnerung an die Rangfolge“.


Das Problem ist nicht nur die Methode – sondern der ganze Denkfehler dahinter.

Denn viele dieser Ideen stammen aus veralteten Modellen. Aus der sogenannten „Hackordnung“, die eigentlich bei Hühnern beobachtet wurde – und dann fälschlicherweise auf Wölfe und später auf Haushunde übertragen wurde.



Dominanz im echten Leben: komplex und dynamisch

Natürlich gibt es Dominanz – aber nicht so, wie viele glauben.


In sozialen Gruppen ist Dominanz:

  • situativ – also bezogen auf einen bestimmten Moment

  • formell – also über längere Zeit anerkannt (z. B. im Mehrhundehaushalt)


Aber auch hier: sie ist keine festzementierte Position, sondern ein Wechselspiel.

Ein Hund kann im Futterkontext „dominant“ sein, aber sich bei Spielzeug zurückziehen. Oder bei Sozialkontakt eher abgeben als einfordern.


Es ist nie schwarz-weiß. Und es ist vor allem nie „einfach so“.



Und was ist mit Aufreiten, Scharren, Fixieren?

Gute Frage. Das sind Verhaltensweisen, die dominant aussehen können.

Aber sie können auch andere Gründe haben:

  • Aufreiten: kann Dominanz sein, oder Spiel, oder Stress, oder Sexualverhalten, oder reine Übersprungshandlung.

  • Scharren nach dem Kotabsatz: kann Imponieren sein – oder einfach ein Ausdruck territorialer Kommunikation.

  • Fixieren & Blockieren: kann Imponierverhalten sein – oder Unsicherheit, Kontrollbedürfnis oder schlicht mangelnde Impulskontrolle.


Entscheidend ist: Was macht das Gegenüber? Weicht der andere Hund aus, duldet er das Verhalten, beschwichtigt er? Dann könnte man von Dominanz sprechen – in dieser konkreten Situation.

Wehrt er sich? Bricht die Interaktion ab? Dann war’s ein Versuch, der nicht funktioniert hat.

Dann war’s vielleicht eher ein Hund, der überfordert ist. Oder nie gelernt hat, wie man sich sozial kompetent verhält.



Worte formen unser Denken – und unser Handeln

Wenn ich ständig sage: „Mein Hund ist dominant“, dann färbt das meinen Blick auf ihn. Ich gehe nicht mehr neugierig an Situationen heran, sondern mit einer Erwartung. Ich sehe nicht mehr den Hund, sondern das „Problem“.


Und genau das macht echten Beziehungsaufbau schwierig. Denn wie soll ich Verständnis entwickeln, wenn ich denke, ich werde gerade herausgefordert?Wie soll ich fair kommunizieren, wenn ich glaube, der andere will mich dominieren?



Was ich mir wünsche

Ich wünsche mir, dass wir anfangen, anders über Hundeverhalten zu sprechen.

Dass wir Wörter wie „dominant“ hinterfragen – oder wenigstens nicht als Pauschalurteil benutzen.


Dass wir sagen:

  • „Mein Hund setzt sich hier gerade durch.“

  • „Er zeigt Imponierverhalten.“

  • „Er wirkt in dieser Situation stark – und der andere lässt es zu. “Oder auch einfach:

  • „Ich bin mir nicht sicher, was da passiert. Können wir gemeinsam hinschauen?“


Denn das ist der wichtigste Schritt im Training: Nicht immer sofort Antworten haben – sondern die richtigen Fragen stellen.




Schlussgedanke

Dominanz erklärt kein Verhalten. Sie beschreibt eine Beziehung – die wir zuerst verstehen müssen, bevor wir sie verändern können.

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